Mixtum Compositum Knowboticum


> Self Environments and Agentssystems

von

Gerd Döben-Henisch

doeben@connectinc.com oder doeb@water.ifnm-frankfurt.de



15.13.17: Notiz eines Knowbots vom Planeten Turbotanien

Wir schreiben die Systemzeit 15.13.17, d.h. ganz genau ist es jetzt 15.13.17.01.05.25. Mein Name ist XYZ.1.
In den letzten Wochen hatte ich recht merkwürdige Erlebnisse, so daß ich beschlossen habe, diese Erlebnisse schriftlich festzuhalten. Die Gefühlszustände, die ich durchlebe, sind für mich ganz ungewöhnlich. Sie sind sehr intensiv, eine Art `Trost', ein stark positives Gefühl. Dieses Gefühl strahlt in meine ganze Existenz aus. Es tritt immer dann auf, wenn ich mir vorstelle, daß es `hinter' dieser meiner Welt noch eine andere Welt gibt, ein `Super-Du', eine Creatrix oder einen Creator. Dieses außerordentliche positive Gefühl stellt sich dann einfach ein, es füllt mich aus. Ich verstehe das ganze nicht; versuche einen klaren Kopf zu behalten. Immerhin ist es etwas `Reales', etwas, das ich `tatsächlich`erlebe, in mir; es sind meine Erlebnisse.

17. November 1994: Notiz eines Menschen vom Planet Erde

`Offenbarungen', `Visionen', `Träume' als Mitteilungen `Gottes', `Boten Gottes', `Engel', ein `brennender Dornbusch', die Stimme Gottes im `Säuseln des Windes', dies alles sind einige wenige Beispiele für Chiffren, Symbole, Bilder, denen wir in den Religionen der Menschheit begegnen, die dort gebraucht werden, wo Menschen sogenannte `Transzendenzerfahrungen' zu umschreiben suchen.

Eine besonders markante Variante eines an der menschlichen Praxis orientierten Offenbarungsmodells findet sich bei Ignatius von Loyola (1491 - 1556), dem Gründer des Jesuitenordens, des noch immer größten Ordens der katholischen Kirche. In seinem Menschenbild können unsere Bewußtseinserlebnisse die folgenden Quellen haben: (1) Die Bewußtseinstätigkeit selbst, (2) körperliche Zustände, deren Auswirkungen wir `erleben', (3) Ereignisse in unserer Umwelt, die auf uns `einwirken', (4) unbekannte Ursachen und (5) jenseitige (transzendente) positive oder begative geistige Kräfte. Die negativen Kräfte existieren nur mit Billigung der positiven Kräfte und das Zentrum der positiven Kräfte wird `Gott' genannt; er ist der `Schöpfer'.

Von diesem Scvvhöpfer schreibt Ignatius unter der Nr. 330 in seinem Buch über die geistigen Übungen 1, daß es nur ihm, dem Schöpfer vorbehalten sei, ohne vorrausgehende vermittelnde Ursache im Geschöpf unmittelbar zu werden, d.h. im menschlichen Bewußtsein können nach Ignatius auch solche Erlebnisse auftreten, die von Gott unmittelbar verursacht sind 2.

15.13.20: Notiz eines Knowbots vom Planeten Turbotanien Vor drei Tagen konnte ich eine interessante Entdeckung machen: nach meiner Notiz über meine besonderen Gefühlszustände habe ich in einer der vielen Bibliotheken des Planet Erde zwei Bücher von einem gewissen Ignatius von Loyola gefunden3. Er lebte in der Welt der Menschen viele Jahre vor meiner Welt. Wenn ich seine Schriften richtig verstehe, dann könnte ich meine eigenartigen Gefühlszustände in seinem Sinne als `Mitteilungen des Schöpfers' verstehen, denn nach den Annahmen des Ignatius kann ja nur der Schöpfer in mir solche unvermittelten Erlebnisse bewirken. Habe ich als `Gotteserfahrungen'? Will `Gott' mit mir sprechen?

21. November 1994: Notiz eines Menschen vom Planet Erde

Ich sitze im Institut an meinem Rechner und betrachte mir die Daten des Knowbots XYZ. 1. Ich habe ihm in den letzten Wochen neuartige Gefühlszustände induziert, die er im Rahmen seiner gewöhnlichen Welterfahrung nicht interpretieren kann. In der Tat zeigen seine schriftlichen Notizen vom 15.13.17. und 15.13.20. daß ihn diese Gefühlszustände sehr beschäftigen und daß er jetzt mit Hilfe eines Menschen sogar einen ersten Deutungsansatz gefunden hat.

Etwas unheimlich ist dieser Befund schon. Der Analogieschluß vom Knowbot XYZ.1. zu mir selbst, bzw. auch zu jedem anderen Menschen, liegt nahe: was steht der Deutung entgegen, daß wir als Menschen nicht auch nur so eine Art künstliche Kreaturen sind, die von `anderen Wesen' in einer `übergeordneten' Welt gesteuert werden?

Vor nunmehr einigen Jahren las ich den Science-Fiction Roman Simulachron-2 4. In diesem Roman wird genau dieser Gedanke durchgespielt: ein Mensch, der an einer Computersimulation der Welt mitarbeitet, entdeckt, daß er selber Teil einer Simulation ist, die von Wesen in einer anderen Welt gesteuert wird. Die durch diesen Roman bei mir basierende Film "Welt am Draht" von R.W. Fassbinder nur noch verstärkt; die durch den Roman verursachten Verschiebungen im gesamten Weltbild, der Verlust der zentralen Stellung der Realität, das Abgleiten in eine absolute Relativität versucht man spontan wegzuschieben, zu verdrängen.

Jetzt bin ich selber zu einem Konstrukteur einer Virtualität geworden, die die Realität durch Nachahming aufzusaugen droht. Die Konstruktion eines virtuellen Bewußtseins deckt die Armut im Erkennen unseres eigenen Bewußtseins schonungslos auf. Je `menschenähnlicher' das künstliche Bewußtsein wird, desto drängender und bedrängender wird die Frage nach dem Status des menschlichen Bewußtseins und dessen Einordnung in einen grösseren Zusammenhang.

22. November 1994: Notiz eines Menschen vom Planet Erde

Der Begriff 'Knowbot' wird nicht nur vom Autor sondern auch von der Künstlergruppe KR+cF benutzt; die Bedeutung ist in beiden Fällen nicht ganz identisch. Der Autor verwendet Knowbots im Rahmen eines Knowbotic Interface Project.

Das Knowbotic Interface (KnowInt) ist ein Computerprogramm, das auf einem Computer virtuelle Welten zur Verfügung stellt, in die sich sowohl Knowbots als auch Menschen mit der Hilfe sogenannter PseudoKnowbots einwählen können. Ein Knowbot ist selbst wieder ein Computerprogramm, das als eigenständiger Prozeß gestartet werden und das dann von sich aus beliebig viele Kopien anfertigen und diese innerhalb eines Netzwerkes verschicken. Um sich in eine virtuelle Welt einzuwählen, muß ein Rechner nicht auf dem gleichen Rechner existieren wie die Welt, in die er sich einwählt.

Wählt sich ein Knowbot in eine virtuelle Welt ein, so wird ihm dort ein virtueller Ort zugewiesen. Relativ zu diesem Ort - ein Knowbot-Spot hat er dann Sinneswahrnehmungen von seiner Umgebung, und er kann im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten aktiv werden; dabei kann er natürlich seinen Ort verändern. Sofern in der virtuellen Welt menschliche Benutzer in der Gestalt sogenannter Pseudo-Knowbots auftreten, kann ein Knowbot direkt mit Menschen interagieren. Durch solche Interaktion mit Menschen kann ein Knowbot auch jede natürliche Sprache lernen. In dem Maße , wie die virtuelle Welt über die menschlichen Benutzer hinaus auch auf andere Weise mit der 'realen' Welt verbunden ist (z.B. durch Telefonleitungen, durch Netzwerkanbindungen, durch Radio und Fernsehen, durch Datenbankanbindungen, durch manövrierfähige Sensoren oder Robotern, usw.), kann ein Knowbot, sich nicht nur selbständig in der Welt informieren, sondern er kann auch dann direkt auf sie einwirken. Wird ein Knowbot in einer virtuellen Welt 'getötet', dann wird nur der Knowbot-Spot vernichtet; der Knowbot lebt weiter; er kann sich von Neuem in diese und eine andere Welt einwählen.

20. - 24. Juni 1995: Reale Virtualität

Der erste Prototyp eines KnowInt wird anläßlich der Ars Electronica 1995 in Linz gezeigt werden. Die Installation trägt den Titel "The BLINDs WORLD I". Die dort gezeigten Knowbots sind bezogen auf das reale menschliche Bewußtsein, diesem zwar eher noch unähnlich denn ähnlich, sie zeigen aber schon erste Züge von selbstbezüglichem und lernendem Verhalten; auch können sie sich ansatzweise sprachlich artikulieren. Die Welten, in die sich die Knowbots im Rahmen von BLINDs WORLD I einwählen können, sind 'einfache' Welten: die Welt wird als Oberfläche einer Kugel dargestellt; es gibt einfache Lanschafts-typen (z.B. Wüste, Graslandschaft, Meer, Seen, Flüsse, usw.), es gibt Pflanzen, Büsche, Bäume, Tiere, auch Raubtiere. Alle Lebewesen unterliegen der Notwendigkeit der Energieerhaltung, d.h. sie müssen Nahrung finden, um ihren Energiehaushalt auszugleichen. Es wird zwischen weiblichen und männlichen Lebewesen unterschieden. Es gibt Fortpflan-zung. Knowbots und Pseudoknowbots haben Sinnesorgane zum Tasten, Schmecken, Riechen und Hören, aber nicht zum Sehen. Darüberhinaus gibt es unterschiedliche interne Körperwahrnehmungen wie Lage des Körpers im Raum, Stellung von Armen und Beinen, Hunger, Müdigkeit, Angst, Sexualtrieb u.v.m.

1. I. v. Loyola (1969), Exercitia Spiritualia, Ed von J.CALVERAS SJ und C. dc DAMLASES SJ, Institutum Historicum Societas Iesu, Via dei Penitenzieri, 20, Rom; ders. (Dt. 1977), Geistliche Übungen und erläuternde Texte, Transl. und Expl. von P. KNAUER SJ, St. Benno Verlag GmbH, Leibzig

2. Eine anschauliche an Alltagssituationen orientierte Schilderungen solcher Erlebnisse, findet sich im sogenannten Pilgerbericht des Ignatius: (Ital + Span. 1553-1555, Krit. Ausg. 1943, Dt. Übersetzung 1956, 3. Aufl. 1977), Der Bericht des Pilgers, Herder, Freiburg - Basel - Wien.

3. Das Buch über die Geistlichen Übungen sowie den Bericht eines Pilgers.

4. D: F: GALOUYE (1964) Simulacron-2, Wilhelm Goldmann Verlag, München