Unsichtbare Öffentlichkeiten in Knowbotic Researchs „Sei bereit! Tiger!“

Felix Stalder, Juni 2006

 

Es war einmal alles so einfach. Öffentlichkeit deutete Sichtbarkeit und als sichtbar galt, was alle sehen konnten. Mit allen waren – zumindest potentiell – tatsächlich alle gemeint. Alle diejenigen, die gemeinsam an einem Ort lebten, oder im Einzugsgebiet der selben Massenmedien und im Ordnungsbereich einheitlicher Institutionen. Zusammen bildete dies den Kern demokratischer Nationalstaaten.

 

Nun stellt die Künstlergruppe Knowbotic Research in Zusammenarbeit mit Peter Sandbichler für zwei Wochen ein Stealth Boot in den Hafen von Duisburg und zeigt, wie brüchig diese einfachen Gleichungen geworden sind. Das im Hafen vertäute Stealth Boot – durch seine spezifische geometrische Form und Oberflächenbeschaffenheit vom Radar nur schwer zu erfassen – ist ein präzise konstruiertes Paradox. Auffällig gerade wegen seiner Unsichtbarkeit und Unsichtbar trotz seiner Auffälligkeit. Materiell, doch durch seine mediale (Un)Realität definiert, navigiert es im hoch regulierten Raum und ermöglicht, neue Räum ausserhalb dieser Regulierungen zu schaffen.

 

Das Paradox des Stealth Bootes ist bei näherer Betrachtung gar kein Paradox im Sinne eines inneren Widerspruchs. Nicht zuletzt deshalb, weil es tatsächlich im Hafen liegt, und danach auf einer Internetplattform für Boote zum Kauf angeboten wird. Das Paradoxe beruht vielmehr auf dem Widerspruch zwischen den Kategorien, mit denen wir nach wie vor versuchen, die Welt verstehend zu begreifen, und dem aktuellen Verfasstheit der Welt, die sich diesem Zugriff immer wieder, und immer weiter, entzieht.

 

Etwas verkürzt ausgedrückt handelt es sich um das Problem, dass die Realität der Netzwerkgesellschaft mit den Begriffen der Moderne kaum zu verstehen ist. Das Stealth Boot steht hierbei für die neuen Realitäten der Netzwerke, die ihre eigene Materialität produzieren, ihre eigenen Geographien von Nähe und Distanz, ihre eigenen Formen von Öffentlichkeit und Privatheit. Die neuen Netzwerke ersetzen die konventionellen Akteure und Ordnungssyteme nicht, sie bilden auch keine Parallelgesellschaften die sich nie berühren, sondern überlagern, durchdringen und redefinieren diese in vielfacher Weise.

 

Während des Kalten Kriegs war Unsichtbarkeit ein Privileg der militärischen Elite und erlangte dadurch ein enormes Prestige. In der Praxis war die Grenze zwischen realen Möglichkeiten und Propaganda immer unscharf, weil ein wesentlicher Teil des Wertes der Unsichtbarkeit darin liegt, sie partiell aufzuheben. Ganz im Sinne des Foucault'schen Panoptikum ist es zentral, dass die Existenz des Unsichtbaren bekannt ist. Ein wesentlicher Teil des Mythos machte aber aus, dass nur die hochtechnisierte Akteure über diese Technologien verfügen konnten und das waren, ganz selbstverständlich, nur die hierarchischen Institutionen der mächtigsten Staaten. Mit dem Ende des Kalten Krieges zerbrachen auch die vertikalen Silos der Institutionen und freigewordene Akteure begannen sich neu zu organisieren. Sie nahmen ihr Wissen mit, und, mit Hilfe globaler, offener Kommunikationstechnologien, sind sie seitdem in der Lage, es weiter zu entwickeln und anzuwenden, ohne notwendigerweise auf den Apparat des etablierten Militärs angewiesen zu sein.

 

Knowbotic Research fischte aus dem Internet ein Video, welches die Tamil Tigers zeigt, wie sie in einem Stealth Boot die Küste Sri Lankas patrouillieren. Auch hier ist es unklar, ob die Bedeutung des Boots in seiner mythischen Propagandakraft liegt, oder in seinen realen Kapazitäten. Aber schon alleine, dass es es unklar ist, ist ein deutlicher Hinweis, dass die etablierten Institutionen von globalisierten Netzwerken Konkurrenz bekommen haben und dass hier ganz neue  Aktionsfelder bestehen, die ex-Soviet Technologie (via Nord Korea), mit tamilischen Rebellen und globalen Medien verknüpft. Hier entsteht eine bisher unbekannte Konfiguration aus Nähe und Distanz, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Materialität und Information. In dieses translokale, volatile Handlungsfeld begibt sich Knowbotic Research mit der Arbeit „Sei bereit! Tiger!“. Ähnlich wie bei den Tamil Tigers hat das Boot sowohl materielle wie informationelle Dimensionen. Es ist, im Sinne eines 'proof of concept', tatsächlich ein funktionierendes Stealth Boot. Zwar dient es nicht der Guerilla Propaganda, aber sein wesentlicher Zweck ist ebenfalls ein kommunikativer, nämlich das Unsichtbare sichtbar zu machen. Das Unsichtbare ist allerdings nicht das Stealth Boot selbst, das liegt ja gut sichtbar im Hafen, sondern die translokalen Netzwerke. In ihnen zirkuliert nicht nur das Wissen um diese Technologie, sondern sie sind auch in der Lage, sie physisch zu produzieren, in dem sich in ihnen – selektiv und temporär – verteilte Ressourcen zu schlagkräftigen Akteuren zusammenfinden. In diesen Netzwerken entstehen neue Formen des Sichtbaren, das aber nicht mehr für alle zugänglich ist, sondern nur noch für diejenigen, die selbst Teil des Verbandes sind. Von Aussen sind diese Netze quasi unsichtbar, von Innen stellen sie neue Öffentlichkeiten dar.

 

Wieder ein Paradox – unsichtbare Öffentlichkeit – aber wie dasjenige des Stealth Boots ist es kein Hinweis auf einen inneren Widerspruch, sondern auf die Unangemessenheit der Kategorien der Moderne für die Phänomene der Gegenwart.