KONNEKTIVITÄT UND KARTOGRAPHIE. ÜBER: KÜNSTLERISCHE PRAXIS, ARBEIT, SUBJEKTIVITÄT, HANDELN
Hans Ulrich Reck
24./ 25. - 4- 99

Abstract
Die Projekte von Knowbotic Research - von 'Simulationsraum - Mosaik mobiler Datenklänge', 'Turing Tuning' über 'Dialogue with the Knowbotic South' und 'anonymous muttering' bis zu 'I0_dencies' und dem aktuellen Projekt für die Biennale in Venedig IO_lavoro immateriale - bilden den hier nicht weiter beschriebenen Fokus für die Erörterung einer künstlerischen Praxis, die heute in herausragender Weise tauglich scheint, die Diskussion um die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einer kontrovers bewerteten 'immateriellen Arbeit' im Anschluß an die neue kapitalistische Symbol-Ökonomie einerseits, die Theorien u. a. von Toni Negri, Maurizio Lazzarato und Michael Hardt andererseits um wesentliche Akzente zu bereichern und das darin wirkende Kategoriensystem zu problematisieren und weiterzuentwickeln. Diskutiert wird das Potential einer künstlerischen Praxis, die eigenständige kreative Handlungsformen und damit eine gesellschaftlich relevante Durcharbeitung des Verhältnisses von Techno-Maschine, Gesellschaftsentwicklung und Kommunikation ermöglicht. Die vorgeschlagene kritische Revision zentraler Konzepte zielt auf ein Feld von 'Zwischenmaschinen', die mittels entwickelter Interfaces die experimentelle Konstruktion und Nutzung eines 'Potentials des Werdens' befördern. Solche künstlerische Praxis eines kreativen Handelns, das nicht im System der Künste sich erschöpft, sondern an Grenzen, im Unscharfen und unterhalb der nivellierenden Formatierungen operiert, enthält eine brisante Kritik an den gerade in einer verborgenen Tiefe immer noch wirksamen mythologischen Überresten eines emphatischen Subjektbegriffs, wie er auf dem Territorium der Kapitalismuskritik - wenn auch stetig modifiziert - bis heute überlebt hat. Die Mystifikationen der Subjektivität provozieren eine radikale Kritik am Begriff aller Arbeit, auch der 'immateriellen'. Wie die technische mit der sozialen Maschine auf neue Weise zusammengedacht, das Lokale mit dem Globalen, das Reale mit dem Virtuellen verbunden werden kann, ohne auf die selbsttrügerischen Hoffnungen einer 'befreiten Subjektivität' zurückzufallen, steht im Zentrum des Konzeptes einer punktuellen Konnektivität zwischen Mensch und Maschine, die singulär und exemplarisch zugleich begriffen werden kann. Die einer Revision unterzogenen Gedankenfiguren und Thesen entwerfen eine Begriffskartographie - mit den Eckpunkten: Arbeit, Subjektivität, Öffentlichkeit, Maschine, Solidarität, Ethos, Kooperation - aus dem (gewiß persönlich eingefärbten) Fokus des Heterogenen heraus, wie sie als Konsequenz der künstlerischen Praxis von KR+cF auch für entwickelte Theoriebildung plastisch wird. Skizziert wird die gesellschaftliche Relevanz einer künstlerischen Praxis - als eine Methodologie des kreativen Handelns - deren Radikalität sich nicht so sehr mit einer Revolutionstheorie des Subjekts, als vielmehr dem Ethos von Solidarität verbindet.

Connectivity and Cartography. About artistic practice, work, subjectivity, agency.

Abstract

The projects of Knowbotic Research - from 'Simulationsraum - Mosaik mobiler Datenklänge', 'Turing Tuning', through 'Dialogue with the Knowbotic South' and 'Anonymous Muttering' all the way to 'IO_dencies' and the current project for the Venice Biennial IO_lavoro immateriale - form the context of this discussion of artistic practice which appears to offer a prime object for debates around the social development of the controversial notion of 'immaterial labour'. This concept relates to the new capitalist economy of symbols on the one hand, and to the theories of Toni Negri, Maurizio Lazzarato and Michael Hardt on the other, and can thus be crucially enriched, problematised and developed further. The discussion tackles the potential of artistic practice to enable independent creative forms of agency and thus also a socially relevant evaluation of the relation between techno-machine, societal development and communication.

The suggested, critical revision of key concepts targets a field of 'intermediate machines' which foster the experimental construction and usage of a 'potential of becoming' through advanced interfaces. Such an artistic practice of creative agency which does not limit itself to the art system but which operates at the boundaries, in the grey zones below the levelling of formats and genres, contains a vital challenge to the mythological remainders of an emphatic notion of the subject, deeply hidden yet still effective, that survives until today in the field of the critique of capitalism, even if it has been continuously modified. The mystifications of subjectivity provoke a radical critique of the notion of all 'labour', also that of 'immaterial labour'. In the same way as the technical and the social machine can be conceptualised together, the local connected to the global, the real connected to the virtual, without falling back into the self-deceptive hopes of a 'liberated subjectivity', the key concept here is a connectivity between human and machine which can be understood as singular and exemplary at the same time. The result of this revision of notions and theses is a conceptual cartography with the main coordinates of work, subjectivity, public sphere, machine, solidarity, ethos and cooperation, projected from the (certainly personally tinted) focus of the heterogeneous and theoretically exemplified as a consequence of the artistic practice of Knowbotic Research. A sketch is given of the social relevance of an artistic practice - i.e. a methodology of creative action - whose radicality is not so much connected to the theory of the revolution of the subject, but to the ethos of solidarity.

0.
Kunst wird im folgenden verstanden als Konstruktion von Handlungen, die sich verschiedener Kartographien bedienen, nicht zuletzt solchen, die sich dem Umbau der virtuellen Maschinerien, des Netzes und der Verbindung von Ort und Dislokation, der stetig wechselnden Beziehung zwischen virtuellen und realen Räumen widmen. Kunst entwickelt spezifische Methoden, um spezifische Handlungsweisen zu generieren. Sie wirkt konkret innerhalb verbundener Kartographien. Das Problem, wie Kunst durch ihr System und ihre Institutionen als Anerkennung dessen erzeugt wird, was sie trägt in permanentem Selbstzuspruch, ist sekundär und demnach in üblicher Mechanik und ohne Erregung vorauszusetzen.

Die Kartographien bilden eine Form, in der thematische Konzentration, politische Situierung und die Einrichtung einer Software für bestimmte Handlungen in einer Einheit von Räumen und Zeit nicht durch abzählbare Schlüsselbegriffe bestimmt sind, sondern durch ihre jederzeitig mögliche Ausweitung. Kunst entwickelt den Handlungscharakter im Durchgang durch Konzepte des Maschinellen und einen Umbau der Apparate, den man als Operieren in Zwischenzuständen, als Sphäre der Zwischenmaschinen versuchshalber beschreiben kann. 'Non-located online' hat sich weiterentwickelt zu operativen Formen einer punktuellen und punktualisierenden Konnektivität, die ohne konkrete Raum-Zeit-Schnitte nicht wirken kann.

Die entscheidende Frage des Projektes von KR zur Biennale Venedig 1999 ist demnach, wie diese Intervention in Zwischenmaschinen und die interfaces zwischen operativen Faktoren innerhalb der Kartographien politisch wirksam sind, und nicht, wieweit Kunst in direkter Hinsicht politisch wirken kann. Kunst als Handlung operiert nicht in einem autarken Feld, sondern dem der Gesellschaft, ihrer Medien und Institutionen, Dispositive und Praktiken, Imaginationen und Machinationen. Die maschinisierende Konstruktion von Interventionen in digitale Apparate und Netze geschieht nicht im Namen der Selbstreproduktion von Kunst, verfolgt keine Definitionsabsichten, sondern entwickelt einen Bezug auf den gesamten Bereich der Lebenswelt, die seit langem schon Medium und Objekt medialer Einwirkungen ist. Deshalb geht es nicht um einen spezifisch politischen Diskurs über Arbeit und Subjektivität, sondern um die Frage, wie mit sonst nicht erreichbaren und durch nichts anderes ersetzbaren Methoden und Anordnungen, eben denen von Kunst, Handlungen erzeugt werden können, durch die sich die eingeschliffenen Formen der Konstruktion, Adaption und Transformation von Diskursen und Dipsositiven, Praktiken und Politiken verändern lassen. Solche Handlung von Kunst berührt den Kern von Fragen, die normalerweise an das Moment des 'Kreativen' herangetragen werden. Wie können Handlungen erzeugt werden, die eine Relevanz entwickeln und für deren - dann auch politische, soziale etc - Entwicklung künstlerische Prozesse und die Initiierung bestimmer Methoden nicht nur eigenständig, sondern unvergleichlich und unverzichtbar sind? Da sich die Handlungen auch der Kunst auf die Zersetzung und Umschichtung der Gesellschaft beziehen, die heute an die Wurzel der Konstruktion des Verhältnisses von Arbeit, Kommunikation und Subjektivität rühren, ist es sinnvoll, sowohl für die theoretische Situierung wie auch den initiierten Prozeß eine weitere Kartographie zu entwickeln. Dies soll in zwei Schritten geschehen: Einer Kommentierung von Schlüsselbegriffen der aktuellen Debatte um Arbeit, Handlung, Subjektivität und Politik folgen Überlegungen, wie kontextuelle Kernkategorien aktueller Kunst transformiert werden müssen, um 'Autonomie der Kunst' als eine Aufgabe und Methode zu begreifen, durch welche sich eine bestimmte Art und Weise entfalten läßt, die Gesellschaft in ihrer Tatsächlichkeit, im Bestand des Realen, durch alle Intermittierungen und Ungleichzeitigkeiten, Heterogeneitäten und Brüche hindurch zu verändern.



I.
KOOPERATION. Im Netz inkorporiert sich keine kollektive Intelligenz. Der virtuelle Gesamtarbeiter war eine Konstruktion, die sich ganz dem historiographischen Modell der Mimesis, Aneignung der in Geschichte entäusserten Kontrollen, von Freiheit als Gewalt also, verschrieben hat. Im virtuellen Raum der ungleichzeitigen, dehierarchisierten, dezentralisierten, unüberschaubaren, heteronomen Operationen und Optionen erweist sich der virtuelle Gesamtarbeiter als ebenso unmöglich wie jede Konstruktion von organischer, umfassend mächtiger und kohärent organisierbarer Subjektivität. Das sind nurmehr Fiktionen in der Folge einer idealistischen Geschichtsphilosophie, die der kapitalistischen Heteronomie, Unterwerfung unter die Operationsbedingungen und Paramater der Maschine zuarbeitet. Im Netz gibt es keine Realisierungsoptionen und schon gar nicht dialektische Inkorporationen von der Art, wie sie die Behauptung unterstellt, die Ideale der französischen Revolutionen seien erst und endlich im digitalen Universum eingelöst. Als ob diese Ideale niemals im größten Ausmaß dynamisierte Optionen der Gewalt gewesen wären oder Herrschaft in großem Stil organisiert hätten. Gegen solche Auffassung tritt an die Stelle der kollektiven Intelligenz die punktualisierende Konnektion, an die Stelle der Homogeneitätssuggestion von Kooperation die singuläre Intervention, an die Stelle eines mittels Knoten und Maschen entworfenen universalen Netzes das Eindringen in die Handlungsfelder einer transformierten Zwischenmaschine. Subjektivität liefert dafür keine angemessene Vorstellung mehr. Sie preiszugeben wäre der Mühe nicht wert; sie zu reaktivieren lohnte nur, wenn sie sich mit medial materialisierter Resistenz, mit antizipierender Operation im heteronomen Feld der Zwischenstufen, also im Netz selbst gegen die Normierungen der globalisierten Kommunikation wendete. Angestrebt werden gegen globale rhetorische Verführungsfiguren temporäre Organisationsformen.

SOLIDARITÄT UND TEMPORALITÄT. Solidarität gehört, auf allen Niveaus der Maschinisierung, nicht zum Kalkül, sondern zum Kern dessen, was man Ethos nennt und wofür es keine anderen Gründe gibt als die, die durch das Ethos selbst motiviert sind. Im Ethos gibt es zwar herstellbare Gegebenheiten, aber durchaus keine Ableitungsfiguren. Ethos entwirft sich nicht durch seine Implemente oder Effekte, sondern durch sich selbst. Es geht nicht aus Erfahrungen hervor, sondern bildet diese. In ihm sprechen sich Entschiedenheiten aus, aber keine evolutionären Anhäufungen. Solidarität ist eine Funktion der Herstellung von Handlungen. Sie ist weder eine ästhetische Erfahrung mittels Aufweckung von Subjektivität noch der ins Klare gesprochene Text der sozialen Logik, die sich aus dem tätigen Vermögen der Vergesellschaftung der Arbeit an und durch Maschinen herstellt. Maschinen sind selber dispers geworden, sodaß dem Ethos nur seine Entschiedenheit bleibt.

KRITIK DER ARBEIT 1. BEMERKUNGEN ZU 'SUBJEKT'. Kritik geht schon aus der Beschreibung des Anspruchs von 'Subjektivität' hervor. Kritik nicht von aussen, sondern als Radikalisierung ihres Prinzips: Bedingung zu sein für Subsistenz, abgerechnet in Geld durch Zumessung von Zeitressourcen oder -knappheiten. Und, zum zweiten, ontologisch gewürdigt und anthropologisch verklärt durch das Paradigma des 'homo faber', als dessen beschönigende Variante seit je - und deshalb noch in den Delirien der Leib-Überwindung im Cyberspace - der 'homo ludens' zu begreifen ist. Die Emphase des Subjekts ist in der bürgerlichen Gesellschaft immer gewesen, den kryptischen Text hinter der privilegierten Aneignung einer ehedem verborgenen Erzeugung der Werte zum Oberflächentext eines Subjekts zu machen, das darin gleicherweise seine soziale Verblendung wie seine individuelle Privation transformiert. Die Emphase des Subjekts ist die gegenständliche Erfahrung vom 'eigentlichen Produzieren der Geschichte', Subjekt also immer gemeint als Subjekt der Geschichte. Die Tatsachen der Arbeit und die gegenwärtige Lage der Subjektivität, die zum Rohmaterial für mediatisierte Symbolherrschaft gerade in den informatisierten, postfordistischen Arbeitszusammenhängen geworden ist, zwingen kritisch zu einer Überwindung ihrer Mystifikationen. Da Gesellschaft Arbeit nicht mehr für alle bietet und Subsistenz ohne Arbeit um jeden Preis nicht gewähren will - obwohl sie das betriebswirtschaftlich könnte -, zieht sie es vor, Arbeit zum Kampfobjekt zu machen. Deren historischer Würde ist auf die dubiose Ehre zusammengeschrumpft, in Kompensationssysteme aufgenommen worden zu sein, die zwar insgesamt davon ausgehen, daß das Leben nicht mehr finanzierbar ist, dies aber doch noch in der Form retten wollen, daß die Gewährung von Arbeitsmöglichkeiten die Wirkung des Knappheitskalküls durch eine Art Schwellenmagie fortsetzt: Wer drin ist, besetzt Arbeitsplätze nicht um zu arbeiten, soindern um an sich selber der Gnade gewährter Subsistenz inne zu werden. Inhaltlich dagegen wird Arbeit immer mehr zum Synonym für Qualitätsvermeidung und Leistungsverweigerung. 'Sciopero bianco' ist deshalb keine Waffe mehr, sondern Konsens und status quo, Schmiermittel in einem offenkundig sinnlosen System. Sinnlos deshalb, weil Wertmaßstab nicht mehr Arbeit ist, sondern Profit, nicht mehr Herstellung, sondern Verschwinden, nicht mehr Fabrik sondern Börse, nicht mehr Mimesis, sondern Psychose. Wie könnte dagegen oder erst recht damit Subjektivität noch einmal als jene starke Figur von Emphase errichtet, eingeklagt oder mobilisiert werden? Wohl nur aus ganz anderen Gründen als denen, die das Ausbleiben der Emphase als Mangel an Kontextbefähigung spiegeln. Emphase und Entfesselung, nicht historische Vernunft oder zivilisatorische Kontrolle sind seit je das Konstitutionsprinzip von Subjektivität schlechthin. Kritik daran ist historisch rückläufig und wird vollständig, wenn man erkennt, daß Emphase des Subjekts gerade das ist, was ihren Diskurs praktisch wenden, revolutuionieren sollte. Daß Künstler für die Figur der Subjektivität vereinnahmt werden, bedeutet, bis heute fortgesetzt in schier unüberschaubar vielen Versuchen, daß Kunst als Modell von Arbeit generell definiert wird. Mag sein, daß ohne zumindest einen Rest von 'Subjektivität' solche Beschreibung nicht gelingen kann. Dennoch ist die Einsicht unvermeidlich geworden, daß seit geraumer Zeit der Diskurs der Subjektivität so illusionär geworden ist wie ihre Selbstsetzung. Sie entspricht einer organischen Verbindung zweier historisch gleichzeitig entstehender Codierungen: Der Fortsetzung des kontrollierenden Erzeugens von Gegenständen in der Phase der Unterwerfung unter die Maschine (produktive Konsumtion des Lebens als verschwindende Inhärenz des Lebendigen noch in der toten Arbeit: final geronnene Maschinisierung als zu entziffernder Text einer gelingenden und eben deshalb gleichzeitig sich verhüllenden Produktivität). Und der Bildung des Subjekts als einer Einheit von Momenten, die in extreme Zerrissenheit und Dispersion zu zersplittern drohen. Emphase der Subjektivität indiziert historisch: Je zerrissener ihre Momente, je gefährdeter ihre Einheit, umso organischer wird ihre Souveränität behauptet. Sie ist Herrschaft, Gewalt, und Macht, Kontrollmodell, zugleich. Die historische Erfahrung ihrer Zerrissenheit ist auf der Seite der Linken immer kompensiert worden durch Verlagerung der Emphase auf den Krypto-Text einer Virtualität, in der jede Zerrissenheit aufgehoben sei. Spätestens mit Georg Lukacs' 'Geschichte und Klassenbewußtsein' (1923) wird - wenn denn nur insistent und genau auf dieser kryptischen Ebene gelesen würde - deutlich, daß jede Behauptung eines 'Subjekts der Gesamtarbeit' dieser diskursiven Emphase entspricht und historische Erwartung werden soll, was historische Erfahrung niemals gewesen ist: Diese Differenz ist die Begründung der Revolution. Ihre Kraft entspringt kontrafaktisch, denn der Kapitalismus hat immer als Annektierung aller bisherigen Faktoren und externen Lebensbedingungen kraft Indifferenzherstellung, als Form der Nivellierung und Neutralisierung, Auflösung und Transformation funktioniert. Er scheitert deshalb nicht an Krisen, weil die Krise das Medium ist, in dem er seine Dynamik entfaltet. Noch kürzer: Er ist die Krise, die er erzeugt und kraft der er sich am Leben erhält. Der Kapitalismus bezieht seine Wirklichkeitsmacht aus dem Mangel des Wirklichen, seinem Ungenügen, das noch jede Zerstörung des Realen aus dem Mangel motiviert, den er nicht nur erwirkt, sondern selbst ist. Die aktuelle politikrhetorische Konstruktion eines Kollektivs auf der Ebene der immateriellen Arbeit setzt diese Hoffnung auf den systemisch erzwungenen, gleichwohl militanten Kryptotext des Subjekts ganz einfach mit anderen Mitteln fort. Revolutionstheoretische Skepsis bezieht sich also mit guten Gründen jederzeit auf einen reichhaltigen Bestand an millenaristischer Epochenfinalisierung und apokalyptischer Wirklichkeitsverachtung. Insofern ist die heutige Lage auf alle Seiten hin paradox. Denn es gibt nichts Wirklichkeitszersetzenderes als die heutige Gesellschaft, die auf Arbeit noch dort verpflichtet, wo Arbeit - generell und zugleich tendenziell wachsend - vernichtet wird und Subjekt sich nurmehr bewähren kann als Bereitschaft, vernichtet zu werden. Auf der anderen Seite ist es als tiefgreifender Schock zu vermerken, daß der Kapitalismus offenkundig noch dort funktioniert, wo er sich nicht mehr auf kapitalistische Arbeit stützt, sondern übergeordnete Modelle beispielsweise durch Ressourcenpolitik, Geldflüsse, direkte Subsistenzregulierung durchsetzt, also nicht mehr auf ursprüngliche Akkumulation zurückgreift, sondern permanent Mangel akkumuliert und dabei zugleich die Vergesellschaftung des Mangels partiell produziert und integriert, partiell unterdrückt oder externalisiert, sodaß kein Subjekt mehr aus der Krise sich bildet, das im Namen der historischen Emphase, der erfahrenen Freiheit souveränen Arbeitsvermögens zu operieren vermöchte. Insofern sind immaterielle Regulierungsfaktoren der Ökonomie - Planung, Information, Informationsverarbeitung, Wissensanwendung, Energietransfer, Kalkül, Anordnung, Befehl, Kommunikation - schon seit langem (also bereits für den präfordistischen Kapitalismus) wesentlicher als die Vergesellschaftung eines virtuellen Gesamtarbeitssubjektes, das sich an Erzeugung von Gegenständen vorrangig bildet. Wesentliche Tendenzen der immateriellen Arbeit - vorgeschossene Subjektivität, Selbstinszenierung als Zwang, informationelle Selbstmaschinisierung als Subjektbehauptung ausserhalb der Äquivalent-Garantie - setzen solche Emphase des arbeitenden Subjekts in der Epoche seiner systematischen Vernichtung fort. Dagegen hilft nicht 'mehr Subjektivität', sondern, vielleicht, die Entschiedenheit des Ethos, beispielsweise und vordringlich als Resistenz.

BEWEGUNG UNTERHALB DER GRENZEN. Es ist evident, daß die Organisation der Wissenspriviliegien - und vor allem ihre Konkretisierung in Gestalt einer Regulierung des restriktiven Zugangs zu zentralen (digitalen) Wissensdateien - ein Muster für systemische Produktivität entschieden geworden ist und zunehmend noch weiter werden wird. Damit geht einher eine großflächige Normierung der gesellschaftlichen Verteilung von Subsistenzkriterien, wobei 'Verteilung' meint: Verknappung, Nivellierung. Symbol-Verarbeitung wird zu einem Muster für die Zuteilung von Handlungschancen, ganz unabhängig im übrigen von bisherigen Formen der Bewertung von Kapital-Optionen beispielsweie an den Börsen. Die Inkorporation der Regeln, wie Wissensgesellschaft durchgesetzt wird, tritt - um eine der immer problematisch bleibenden Metaphern zu benutzen - in Gestalt eines umstellenden und übermächtigen Panoramas von Maschinen und verschalteten Apparaten auf. Sinnvollerweise ist davon auszugehen, daß 'Apparat' heute keine Unterscheidung in soft- oder hardware mehr erlaubt. Und auch keiner mehr bedarf. Das heißt aber unter anderem, daß über die Veränderung von Software Hardware verändert werden kann und nicht, daß sich die Logik der Hardware unidoktrinal durchsetzt. Die Modalitäten des künstlerischen Handelns bewegen sich entsprechend ihren Interessen unterhalb der Grenzen und zugleich an den Grenzen des Systems. Dies aber nicht so, als ob dadurch eine Geographie beschrieben wäre. Es geht nicht um räumliche Ausdehnung, sondern Zustände, Qualitäten, Vektoren, Dynamiken. 'Grenze' ist ein Bild für die transitorisch sich eröffnenden Möglichkeiten des Umbaus der Maschinen, von welcher Seite her auch immer. Zwischenmaschinen sind solche Artikulation von Interventionen unterhalb der Grenzen - wenn sie dicht gekoppelt und methodisch systematisierbar, also nicht singulär sind. Künstlerisch sind Methoden des Transitorischen deshalb vorrangig - wenn auch keineswegs ausschließlich -, weil sie nicht auf die Verwertung von Systemvoraussetzungen, sondern die Invention und Intervention gerichtet sind, d.h. weil sie einen eigenen Typus des Handelns entwerfen und erproben, der, wie weiter unten noch anzusprechen sein wird, weder normativ noch instrumentell ist.

ÖFFENTLICHKEIT UND KRITIK DER ARBEIT 2. Kapitalistische Organisation kann mit der Zersetzung zahlreicher Differenzformen leben und reproduziert sich durch die partielle, zuweilen gar weitgehende Preisgabe kapitalistischer Organisationsformen hindurch. Ökonomie absorbiert ohne Zweifel immer wieder weite Bereiche und sich wandelnde Formen von Öffentlichkeit. Die Modellierung der öffentlichen Räume - Kooperation, Kommunikation - findet jenseits der zunehmend verlassenen - genauer: in Armutsregionen ausgegeliederten - traditionellen Orte, Fabrik und Manufaktur, statt. Die brisanteste Kritik der Arbeit wäre heute der Bruch mit der Organisation des Mangels, d.h. mit der Arbeit selbst. Wie gesamtgesellschaftliche Ökonomien der Verschwendung und produktiven Verausgabung zu denken wären, ist im konkreten weiterhin unklar. Die bisherigen Modelle beziehen sich allzu stark auf Prozesse der Kunst, auf dicht gekoppelte, intensiv aufgeladene Vorgänge oder, genereller, auf ethische Setzungen. Überfluß, der den Mangel überwindet, überwände vor allem den Überfluß, der kapitalistisch nur im und als Mangel gebildet werden kann.
Kritik der Arbeit ist - wie immer im einzelnen beschaffen - gewiß jederzeit ein Programm, das eine kulturelle Aufgabe ist und damit von Maß und Qualität der Ausbildung von Öffentlichkeit abhängt. Vom Diktat der Arbeit bleibt heute nicht mehr das Paradiesversprechen, sondern nurmehr die Fixierung auf Lohn und Geld, überlebt der Zwang, leben zu müßen von Gnaden der Verfügung über Geld und anderweitige Einnahmequellen, die zunehmend privatisiert sind. Daß der Kapitalismus die primitivste Organisationsform von Leben ist, die sich denken läßt, macht ihn stark. Er operiert vom Punkt der Indifferenzherstellung aus. Zwischenmaschinell intendiertes Handeln in Zwischenräumen verbindet eine Zahl bereits mediatisierter Räume. Der Raum der Biennale ist, im Netz vermittelt, global und lokal zugleich, intensiviert die aktuell geschehende Entwicklung politischer Interventionen in der Öffentlichkeit, ohne im symbolisch legitimierten Raum der Kunst zu verharren. Solche Öffentlichkeit ist entscheidend für das Spiel mit neuen Kooperationsformen zwischen Arbeit und Maschine. Wenn Gesellschaft immer abhängig ist von der Bildung von Mehrwert, dann geht es heute dennoch nicht mehr um dessen Akkumulation, sondern um seine produktive Vernichtung. Das bezeichnet den Ort der Kunst in ihrem spezifischen öffentlichen Raum. Zu erinnern bleibt: Öffentlichkeit hat sich nie in physikalischer Ausdehnung erschöpft, obwohl gerade diese Metapher oder dieses Vorstellungsbild sich durchgesetzt hat, bis zur grotesken postfordistischen und telematik-besessenen Beschwörung des angeblichen 'Verschwindens' der Öffentlichkeit, des Wirklichen, des Materiellen und Physikalischen. Öffentlichkeit ist immer ein normatives Konstrukt gewesen, eine kontrafaktisch wirksame Idee, ein Postulat und Regulativ, ein einklagbares Korrektiv. Faktisch ist neuzeitliche Öffentlichkeit immer schon in eine endlose Filiation von Umkehrungen, aber auch von Mediatisierungen eingebunden, sodaß man sich Öffentlichkeit ausserhalb der sie durchkreuzenden medialen Dispositive überhaupt nicht mehr denken kann. Die Geschichte der Mediatisierungen zeigt, daß Öffentlichkeit in der historischen Entwicklungslinie immer weniger ein wirkliches Zentrum hat, sondern sich in Durchdringungen von Partialitäten, vektoriellen Bewegungen und unsteuerbaren Dynamiken entwickelt - eben als eine Kartographie der Thematisierungen und Formulierungen von Gesellschaft, als erfahrbares, konfliktträchtiges wie umstrittenes Konstrukt, auf dessen Wertigkeiten sich Positionen beziehen, ohne einen fixierten Raum beanspruchen oder auch nur auf ihn verweisen zu können. Die sich wechselseitig durchdringenden Dispositive bilden Öffentlichkeit, von einer physikalisch möglichen Koopperation bis hin zur Koordination von Diskursen in digitalen Informationsnetzen. Die Kritik der Singularitäten geschieht selber vom Ort des Singulären aus. Nur von ihm aus sind die klassischen Momente der ethischen Kooperation formulierbar: Schutz der Schwachen, Inkorporation der Idee des Allgemeinen. Öffentlichkeit ist also immer kontrafaktische Idee gewesen, Konstruktion und Instanz einer - mit Verweis auf Rousseau - virtualisierenden 'volonté générale' und keineswegs eine zur einheitlichen Richtungskraft gebündelte unbd addierte Option des Willens aller. Unerbittlich dazu Ilja Ehrenburg: Der Sozialismus muß anderes sein als die Addition von Nullen. Heute ist Öffentlichkeit nicht mehr vom Beanspruchen und Zeigen eines vorhandenen Raumes abhängig, sondern von der Ausbildung und Beeinflussung, bestenfalls Umwendung mediatisierter öffentlicher Kommunikationsprozesse. Die Verbindung von Lokalität und Dislokalität, konkreten politischen Bewegungen und Transformationen im digitalen Raum sind Versuche zur Vertiefung der Kooperationserfahrungen mit Maschinen und zugleich Umschichtungen einer immer schon medial durchdrungenen Öffentlichkeit. So wird der Raum der Biennale als Singularität des Kunstraums, als Lokalität der Verbindung von Lokalisierungen und Globalisierungen sowie zugleich als Konstruktion einer Bühne für die Reflektion von Globalisierungen und lokale Zerstreuungen genutzt. Kunst kann auf diesen Charakter oder Anspruch des Konstruktiven heute nicht verzichten. Die Entwicklung von offenen Interfaces durch KR, die Insistenz auf Zwischenmaschinen, punktualisierender Konnexion können gerade durch die Intervention in den Datenraum neue, sonst nicht stattfindende lokale Dynamiken erzeugen, bekräftigen, verstärken, aber auch anders richten.
Diese Idee der Öffentlichkeit bestimmt auch die Konzeption einer von den Apparaten nicht mehr unterschiedenen Software, die spezifisch intendierte Veknüpfungen ermöglicht. Öffentlichkeit wird zu einer dynamischen Kraft, die singulär auch im Raum der Kunst operiert. Diese Konnektivität erübrigt, auf einen kunstrhetorisch emphatisierten Tabubruch hinzuwirken. Die Verletzung ästhetischer Tabus ist nämlich nicht nur das durchsichtige und lineare Kalkül eines Kunstsystems, in dem jede erdenkliche Avantgarde längst schon funktionalisiert ist, sondern geht von einem archaischen Modell der Kunst-Autonomie als einer Ausdehnung des Materialbereichs aus, einer imperialen Geste der Unterwerfung von externen Territorien, die neu als kunstfähig angesehen und annektiert werden sollen. Von der Kunst zu fordern, daß sie als ihr letztes Tabu den ästhetischen Raum generell verläßt und wirkliche Operation ist, erweist sich als später Reflex anarchosyndikalistischer oder situationistischer Träume von einer Erlösung durch Erzwingung des Absoluten und zugleich als paradoxe Fremdbestimmung durch ein reguliertes Kunstsystem, in dem alles unweigerlich zur Kunst wird, was sich auf Kunst bezieht - und sei es als Forderung, Kunst müße den Raum der Kunst überwinden, Kunst zerstören, verraten, zum Verschwinden bringen und dergleichen mehr. Die symbolische Öffentlichkeit der Kunst kann in keiner Weise gebrochen werden. Sie ist stärker als jede behauptete Wirklichkeitsevidenz ausserhalb der Kunst - eben weil und sofern sie sich auf Kunst bezieht. Das gelingt, selbst wenn sie das durch Abspaltung oder bloße nominalistische Behauptung tut. Von solcher Beschwörung bleibt dann übrig nur die Wirklichkeit der Inszenierung. Daraus folgt aber die Konsequenz, daß Virtualität nicht mehr im Gegensatz zum Nichtvirtuellen definiert werden kann. Sie bezieht sich auf die Differenz des Möglichen zum Unmöglichen, nicht auf die Skalierung von Wirklichkeiten. Die funktionelle Beherrschbarkeit der technischen Virtualität kann als Hypothese und damit Heuristik von Experimenten ebenso in keiner Weise ausgeschlossen werden wie die historische These von der Steuerung der Techno-Maschine durch die soziale Maschine. Heuristik organisiert die Operation im Virtuellen als ein 'Potential des Werdens'. Für dieses Potential entwickelt KR Interfaces, die sich zwischen der Virtualität des Technologischen und der Virtualität der Gesellschaft, also auch zwischen Wirklichkeitserfahrung und konstruktiver Imagination bewegen. Selbstorganisationsalgorithmen und Zwischenhandlungsfelder sind zwei der konzeptuell wesentlichen Momente der Entwicklung und Installierung solcher Interfaces.

KOOPERATION UND MASCHINE. 'Maschine' beschreibt eine Anordnung, die technologische Elemente einer wiederholbaren Sequenz von Befehlen und Dispositionen in einem stringenten Zusammenhang gliedert. Zahlreiche Auffassungen umschreiben Maschine als Synonym von 'technischer Maschine' und suggerieren oder behaupten explizit, daß diese sich selbst steuere. Blickt man in die zum Beispiel von Lewis Mumford rekonstruierte Geschichte/ Genealogie der Maschine als eines Dispositivs von Macht, dann erhärtet sich jedoch die Vermutung, daß letztlich die soziale Maschine das wesentliche Element der Steuerung aller Maschinen ist. Dazu rechnen auch Maschinen des Imaginären. Phantasiemaschinen wie Wunschmaschinen sind dem Dispositiv der sozialen Steurung unbtergeordnet, in das ihrerseits die Techno-Maschine integriert ist. Diese entwickelt zwar ihre eigene Dynamik und wirkt mit materieller Gewalt selbstbezogen auf die Formierung zahlreicher lebenswelticher Zusammenhänge ein. Aber die soziale Maschine ist umfassender und differenzierter als die Techno-Maschine, gehört doch zu ihrer Geltung die Organisation aller Artefakte, die immer auch eine Leistung des Sozialen und damit eine Bedingung des Technischen sind. Künstliche Intelligenz ist weder instinktiv naturgeschichtlich noch anthropologisch linear erzwungen, sondern immer über Artifizialitäten konstruktiv hergestellte Kooperation und somit Teilung der Arbeit als Medium der Organisation und Verteilung von Macht, Zeit und Handlungsweisen. Kultur wie Zivilisation haben gewiß eine technische Basis, aber ihre intrinsische Dynamik ist komplexer als die Vorstellung vom Ingenieur oder Programmierer als einem Meta-Künstler oder Kreator einer Mega-Maschine nahelegt. Diese Vorstellungen werden dem Begriff des Dispositivs nicht gerecht, der ja keiner einzelnen Medialität vorbehalten sein kann. Im Hinblick auf digitale Apparate ergibt sich für Künstler schon aus dieser generellen Überlegung heraus das Gebot der Skepsis gegen alle reduktiven Modelle, die mit der Heroisierung von Berufsrollen einer vermeintlich absoluten, in Wahrheit als eine besondere Kraft mit anderen Faktoren partiell vermittelten Vorherrschaft des wissenschaftlichen Kalküls gerecht werden wollen, das sich in Gestalt von technischen Artefakten verstofflicht. Eine zu große Nähe der Künstler zu den vorgefertigten Parametern der digitalen Maschine, zu Software und Technologie degradierte die Künstler umstandslos zu deren Anhängseln. Die Behauptung einer umfassend autonomen und zugleich autarken Techno-Maschine folgt vor allem dem Wunsch, daß sich darin kulturelle Kreativität nach dem Muster der Produktion von Gegenständlichkeiten - und seien das auch nur Signalprozesse oder in sich delierierende symbolische Zeichenketten - erschöpfend darstellen und somit Kreativität generell in Artefakten absorbieren lassen. Die mittlerweile schon wieder abgedämpfte euphorische Rede von den virtuellen Realitäten beruht deshalb auf einem grundlegenden Mißverständnis der Wissenschaften wie der Poetiken vom Künstlichen.


II.
AUSDEHNUNG, EXPANSION, HYBRIDE. Für Kunst durch Medien gilt gesteigert, was für die Künste des 20. Jahrhunderts in vielen Etappen und Momenten ihrer Entwicklung bereits als Kennzeichen angesehen wird: Daß die Ausdehnung der Materialbasis mit einer steigenden Aufhebung der Unterscheidung von Sparten und Medialisierungen einhergeht. Der Stand der Entwicklung der Künste erlaubt die Diagnose, daß eine gesamtkünstlerische Entwicklung nicht mehr eine Aufteilung beispielsweise in Musik, Dichtung, Plastik, Grafik oder Aktion zuläßt. Seit einigen Jahrzehnten haben Modelle die Entwicklung der Künste geprägt, die in keiner Weise mehr auf die Herstellung von Repräsentation eingeschränkt werden können. Kunst als Handlungsform läßt sich nicht länger auf einen eng abgegrenzten Material-, Ausdrucks- oder Mediatisierungsbereich festlegen. Ging es seit einigen Jahrzehnten wesentlich um eine Erweiterung der Materialien und des Bewußtseins, so in Kunst durch Medien um eine Ausdehnung von Handlungskonzepten, um eine Konstruktion von Ausdruck und Vermittlung generell, die nicht mehr mit der Schaffung der Werke zusammenfällt. Kunst durch Medien transformiert die Bewußtseinserwartung in ein Experiment mit den formierenden Kategorien der sozialen und politischen Handlungen. Damit geht Kunst über die Auflösung der Einschränkung der Produktion auf einen Material- oder Ausdrucksbereich hinaus. Sie vermittelt die Konstruktion neuer Methoden mittels Intervention in apparativ geformte Handlungsweisen mit generelleren Bedingungen des Eingriffs in lebensweltlich formende Apparaturen, aber auch mit den Erfahrungen eines permanenten Wechsels und stetiger Auflösungen. Sie entwirft sich jenseits der Behauptung der Simulationen als Kunst der Illusion, eines methodischen Spiels. Sie bildet ständige Konnektionen, Verknüpfungen, ist nichts anderes als die Erfindung von Matrix und Resistenz, durch welche neue Verknüpfungen möglich werden. Sie artikuliert sich als Konstruktion der durch sie ermöglichten Bewegungen und Tendenzen, als Programmierung einer Handlungsweise, in der noch nicht gebildete Verknüpfungen von Ort, Zeit und Maschinisierungen in einer permanenten Verschiebung der Dispositive des Maschinischen möglich werden. Ihre politischen Implikationen entfaltet sie nicht durch einen Plan, nicht durch gerichtetes instrumentelles und ideologisches Handeln, sondern dadurch, daß kreierendes Handeln, Antizipation als Selbstbeschreibung stattfinden.

KUNSTTHEORETISCHE KONSEQUENZ. Kunsttheorie ist keine Nachbetrachtung, die Kunstproduktion voraussetzt, sondern eine Kraft, die innerhalb ihrer Konstruktion wirkt, eine Potentialität ihrer Ausbildung. Sie ist auf dem Niveau des verschiebenden Handelns mit Architekturen, Programmatiken und Dispositiven der digitalen Maschinen und Apparate zu kennzeichnen als Überschreitung aller Suggestionen von einer Immersion und technischen Implementierung der Sinne in einem neuen Gesamt(daten)kunstwerk. Die Rede vom Gesamtkunstwerk ist eine Suggestion, mit der die kontrafaktische Kraft der radikalen Kunst in einen neo-barocken Sensualismus mittels Collagieren hybridisierter Leib-Vergötterung zurückgebunden werden soll. Die euphorische Suggestion des Gesamtkunstwerks ist historisch markiert als Selbstverblendung eines totalitären Willens zur Macht durch Kunst und wird heute abgelöst durch eine radikale Konstruktion der Kunst durch Medien. Gesamtkunstwerksversprechen sind nicht mehr ungleichzeitig gegenüber der Handlungsdisposition der Zwischenmaschinen, sondern durch und durch kompensatorisch: Rettungsfiguren einer Kunst, die auf Illustration der collagierten Sinne fixiert bleibt, wohingehen radikale Kunst auf der differenzsetzenden Illusionierung der heterogen geschärften Sinne besteht. Gesamtkunstwerk ist eine Fiktion, die der auf Simulation von maschinellen Ekstasen ausgedehnten Mimesis und damit einer institutionell hörigen Selbstreproduktion der Kunst verschrieben bleibt. Diese Verschreibung ist aktuell rückständig. Der Rückstand drückt sich aus im Bestehen auf einer autonomen Subjektivität, die sich vom Modell der Kunst her als erneuerte Fixierung auf die Emphase des geschichtsmächtigen Subjekts, auf die Anstrengungen einer fiktiven Subversion der Maschinen im Dienste eines nicht minder fiktiven gesellschaftlichen Gesamtsubjekts überschreibt. Gegen bloß formale Ausfransung der Künste und Regressionen auf Gesamtkunstwerkserlösungen hat der Zerfall der Doktrinen und Versprechungen der Moderne Entscheidendes markiert. Nicht zuletzt mit dem Ziel, die Moderne als eine maschinistisch illusionierende Kritik an der Selbstverblendung des kontrollierenden Subjekts zu radikalisieren - ein Effekt zahlreicher postmoderner Dekonstruktionen, teilweise auch nicht-intentional, ja gar contre coeur ihrer Propagandisten bewirkt.

UNSCHÄRFE. Über keine Qualität kann im Feld der Kartographien unvermittelt und unbezogen mehr verfügt werden. Begriffe und das, wofür sie stehen - Subjekt und grammatikalische Stelle des Substantivs als eines Gegebenen - bezeichnen vielmehr Konstruktionsaufgaben. Es geht nicht in erster Linie um ästhetische Qualitäten. Unschärfe meint die Selbsterfahrung einer Bewegung in Apparaten und Dispositiven. Analoges gilt für Begriffe wie kollektives Handeln oder Autonomie. Sie sind gewachsen in der Fabrik, im Paradigma der gegenstandserzeugenden (vernünftigen) Arbeit, an der sich das produzierende Vermögen als gegenstandssetzendes, mithin als machtvoll, seiner Sprache mächtiges erfährt, einer Sprache, die Erfahrung eines Gegenständlichen und Erzeugung des Gegenständlichen in einem ist. Im dispersen Feld des kreativen Handelns gibt es solche Gegenstände aber nicht mehr. Gegenständlichkeiten müssen natürlich unvermeidlicherweise immer wieder erzeugt werden. Die dafür erfundenen Methoden richten sich an allem nur Erdenklichen, aber nicht mehr unbedingt an der Kontrollinstanz der Subjektivität aus. Sie negieren Subjektivität nicht, unterlaufen sie aber in einem vagen Selbstgefühl, daß das Eigene 'Subjektivität' genannt werden kann, aber nicht muß, weil im Selbstgefühl eine Evidenz auftaucht, die sich als punktualisierende Bewegung, als Tatsache wie Medium des Selbst und des Heterogenen, als Unterbrechung des Subjektiven also aufdrängt. Ihre Instanz ist trivial im besten Sinne: lebensweltliche Gegebenheit und deshalb Bedingung der Möglichkeit des Handelns. Darüberhinaus verkörpert sie nichts, was sich in ihr verspricht oder durch sie unbedingt beansprucht werden kann. Nichts anderes meint die Spezifität des künstlerischen Handelns: Daß in ihm nichts vorab feststeht und daß alle Parameter, die ein Erfinden, eine Konstruktion, eine Methode festlegen, nicht das Feld des Möglichen abschreiten, sondern im Maße der Festlegung, Rubrizierung des bereits Erreichten, stetig noch nicht Festgelegtes, Wege ins Offene anbieten. Das Spiel mit Kontingenzen operiert nicht im klassisch-modernen Feld des Zufälligen, sondern in Zwischenzuständen, Zwischenschichten. Deshalb operiert künstlerisches Handeln in der Zwischenmaschine und an den Schnittstellen zu allem anderen Handeln, das ihm gleich nahe oder gleich fern steht.

HANDELN. Normatives und utilitaristisches Handeln fallen nicht zusammen mit kreativem Handeln. Subjektivität ist nicht mehr die Instanz einer hierarchisch gegliederten, im narrativen Subjekt eines Bildungsromans kulminierenden Organisation der Handlungen und ihrer Kontrolle. Subjektivität wird dynamisiert, ist zu denken als Subjektivierung, die permanent durchsetzt ist von den Bedingungen ihrer Vermittlung, d.h. heute vor allem von der Virulenz des Maschinellen. Prozesse der Subjektivierung sind singulär und multipel zugleich. Es handelt sich demnach immer um alternative Subjektivierungsprozesse. Invention und Heuristik, Erfindung und illusionierende Tests reihen sich nicht mehr ein in die Linien oder Frontverläufe des Fortschritts. Subversion ist eine Dimension der Apparate selbst geworden. Mit Foucault: Wo Macht ist, ist auch Gegenmacht. Durchkreuzung und Opposition sind Gegebenheiten, die von der Artikulation des Singulären abhängen, aber auch jederzeit mit einer Multiplikation statthabender singulärer Ereignisse rechnen können. Sie vollenden sich nicht als Aufhebungsprozesse. Mit Deleuze/ Guattari: Molare und molekulare Prozesse schieben sich permanent ineinander, formen sich um, recodieren sich. Apparate werden konstruierbar durch Verschiebungen, durch Nutzung der stattfindenden Subversionen, die keine Gegenmacht des Subjekts mehr brauchen. Künstlerisches Handeln ist nichts, was feststeht, wenn sektorielle Aufteilungen bekräftigt und zurückgenommen zugleich werden. Unter dem Diktat der immateriellen Arbeit stellen sich eher forcierte Analogien zwischen ästhetischem, politischem, sozialem, künstlerischem Handeln ein. Immaterielle Arbeit erschöpft sich, solange sie an die Perspektive von Lohn, Äquivalent und Legitimierung der Subsistenz als soziale Nützlichkeit ausgerichtet ist, in Symbolverarbeitungsvorgängen, die Handeln auf die statische Filiation von Signalen und ihre lineare Abarbeitung reduzieren. Die Unterscheidung zwischen instrumentellem und symbolischem Handeln verkürzt die Dynamik der Durchdringungen genau so akademisch und unproduktiv wie die frühere Opposition von Arbeit und Sprache. Interaktionsverhältnisse und Kommunikation sind, zusammen mit den Dispositiven der Herrschaft, immer schon der Arbeit zwangsweise und gewaltförmig eingeschrieben. Subjektivität ist demnach immer durchsetzt und durchbrochen, medialisiert und modelliert. Sie ist kein Weg mehr zur Lösung der Frage des Konkreten oder dafür, wie kollektive Figurationen des Unsichtbaren erreicht werden können. Revolutionstheorie stützt sich nicht mehr auf die Mystifikationen des Subjekts. Subjektivität hat sich endgültig als eine Figur der Mystifikation erwiesen. Sie muß nun selber subvertiert, umgewendet werden als Spiel ihrer selbst/ mit ihr selbst. Die Kunst der Illusion ist, was auf der Seite der Differenz handelt und die Konstruktion dessen betreibt, was innerhalb der Mystifikationsfigur unweigerlich einem geschichtsphilosophischen Diskurs, einer Figur der Überalterung und undurchschauten Illusion erläge. Daß alle bisherige Formen der Handlung in der Krise sich befinden, kann nur heissen, auf die präsumptive Figur der Auflösung der Krise in Gestalt der Hülle 'Subjektivität' zu verzichten. Die Trias Arbeit-Gesellschaft-Kunst ist nicht mehr in der Figur der Subjektivität aufzulösen. Das hat Auswirkungen auf alle Vorstellungen von Handeln. Handeln ist nicht mehr gebildet nach dem Modell der Entäusserung eines virtuellen, sich in der Virtualität aber organisch erfahrenden Subjekts, nicht mehr Moment eines Geschlossenen, sondern Erfahrung des Dispersen, das sich nur noch an der Instanz des Anderen, durch Resistenz und Reibung aufzurichten vermag. Kreativität ist nicht als eine Spezifizierung im Verfolgen von Zielen zu erfassen. Kunst als Handeln dient nicht mehr dazu, das Leben zu verstehen oder das Subjekt zu bilden, sondern als illusionierende Konstruktion einer Abarbeitung der unübersichtlichen Spuren und Markierungen, mit denen sich wechselseitig Handlungen und Maschinen in ein Feld des Dispersen, der Nähe und Distanz zugleich der Gegebenheiten/ Inkorporationen von Anderem/ Heterogenem einschreiben. Die Herstellung und Benutzung künstlerischer Methoden und die Rezeption im Raum der Kunst reproduzieren nicht länger die symbolische Herrschaft einer abgezirkelten Institution. Der Anspruch ist vielmehr, daß Kunst aus sich heraus kommuniziert und demnach Probleme aufwirft, verdeutlicht, verschiebt, die ganz alltäglich bekannt und brisant sind. Insoweit immaterielle Arbeit nicht mehr dem Paradigma des Herstellens und Produzierens von angehäuften Werten, verkörpert in Dingen, verpflichtet ist, wird Kunst methodisch denkbar als permanente Eröffnung von Handlungsfeldern. Es geht ihr nicht um die Ausdehnung von Vermittlung, sondern Eingriffe, die radikale Transformationen bewirken. Vorgeschlagen werden dazu möglichst weitgehende Eingriffe in Software und Apparate. Vielleicht zeichnet sich darin als Nebenprodukt auch die Kontur einer Subjektivität ab, die nicht mehr dem Wahnsinn der souveränen Produktion von Geschichte und Freiheit, realisiert als Herrschaft und Terror, verfällt. Kunst artikuliert jedenfalls immer eigene Möglichkeiten, die sich im Feld der Kartographien gegen Herrschaftskommunikation richten. Sie liefert Bezugs- und Gesichtspunkte einer neuen Konstruktionsmöglichkeit. Vorgezeichnet wird solche resistente Subjektivität im Modell der Kooperation mit und durch Maschinen, aber auch mit und durch verschiedenen Lokalisierungen und Dynamiken hindurch. Kollektive Autorschaft als eine Form der Kooperation verwandelt den Produzenten in den Zeugen, Urheberschaft in Kommentar, Erfindung in Kritik. Kartographien sind das dafür geeignete Medium. In ihnen wird die Logistik unüberschaubar komplexer Kooperationen sichtbar - von Schritt zu Schritt, Fall zu Fall, Aspekt zu Aspekt. Aber nur in dem Maße, wie Kunst selber ein soziales Handlungsfeld eröffnet. In dieses vermag sie einzugehen, weil sie sich auf Handlungsformen der Gesellschaft insgesamt bezieht und so stetig an sich selbst die Mediatisierungen abarbeitet, ohne die keinerlei Wirklichkeit mehr zu operieren vermag.

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Michael Hardt
Hans Ulrich Reck
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